Normalerweise schreibt man Gedichte, um zum Beispiel die Natur zu feiern, um Gefühle wie Liebe oder Schmerz auszudrücken. Es gibt aber auch Menschen, die unter widrigsten Umständen ein poetisches Werk geschaffen haben. Schlagartig können wir heute gewahr werden, wie ungeheuerlich nah uns diese Texte sind.
Für viele ein gänzlich unbekanntes „Kapitel“: Zwischen 1947 und 1950 wurden mehr als 80.000 Griechen auf der Insel Makronisos (Griechenland) in Umerziehungslagern interniert. Dort sollte „die Ausbreitung des Kommunismus“ bekämpft werden. Unter den Häftlingen waren zahlreiche Schriftsteller und Dichter, darunter Jannis Ritsos und Tassos Livaditis. Trotz der Entbehrungen und Quälereien ist es ihnen gelungen, Gedichte zu schreiben, die von ihrem Über-Leben in diesem Konzentrationslager sprechen. Keine Verse aus einem Elfenbeinturm. Die Texte, teilweise in Flaschen im Erdboden vergraben, sind später wieder aufgetaucht. Sie gehören zum Griechenland von heute.
Der Film „Wie steinerne Löwen am Eingang der Nacht“ mischt die Poesie der Dichter mit Parolen, mit denen die Internierten im Lager über riesige Lautsprecher permanent beschallt wurden. Dieses Dokument des Schweizer Regisseurs Olivier Zuchuat macht nicht nur bewusst, was staatliche Umerzieher damals erreichen wollten – ein gehirngewaschenes, gefügiges Volk – und auf welche Art und Weise, in welcher Atmosphäre dies geschah, sondern Zuchuat löst im Zuschauer von heute unweigerlich die Frage nach Wiederholungen in der Geschichte aus. Lange, fast hypnotisch wirkende Kamerafahrten über die Ruinen des Lagers auf der Insel Makronisos. Fast meint man, die salzige Luft in Meeresnähe zu atmen. Diese Aufnahmen werden ergänzt durch Fotografien aus Archiven. Ein filmischer Essay – auf den ersten Blick beinah etwas wie die Rückkehr an den Ort einer verlorenen Schlacht. Dem die derzeitige Realität allerdings eine ganz aktuelle Dimension gibt: Ein Film, der nicht nur einen Rückblick ermöglicht, sondern der die Erinnerung wachhält, in einem Moment, wo der abstoßende nationalistische Eifer in Griechenland eine Renaissance zu erleben scheint …
Olivier Zuchuat
wurde 1969 in Genf geboren. Nach dem Studium der Physik (Lausanne und Dublin) und der Literatur unterrichtete er an der Universität Lausanne. Zuchuat inszenierte mehrere Stücke von Bertolt Brecht und Heiner Müller. Bevor er sich ab 2001 ganz dem Dokumentarfilm widmete, arbeitete er bereits mit dem Theaterregisseur Matthias Langhoff zusammen. Olivier Zuchuat ist als Regisseur und Cutter tätig. Er unterrichtet seit 2010 an der FÉMIS (Paris) und an der HEAD Hochschule in Genf.
Seine Filme haben international etliche Preise gewonnen (Best documentary „Regard sur le monde” – Festival Vues d’Afriques, Montréal 2005; Médiathèques Award, FIDMarseille 2008; Quartz 2009 – Swiss Cinema Award, Nomination for best documentary film; International Film Festival Innsbruck 2009 – Best Documentary; Nuremberg International Human Rights Film Award 2009 – Nomination; DOK Leipzig 2013 – Oecumenical Jury Award (International Competition); Festival International du Film Méditerranéen de Tétouan 2013 – Jury Award; Festival International du film Insulaire (Groix 2014) – Jury Award (special mention).
2012
Olivier Zuchuat
Dokumentarfilm
Frankreich / Griechenland / Schweiz
89 mins
OmUdt