Artist’s Corner mit Asteris Kutulas & Nora Ralli
Zu Gast: Stratos Tzitzis (Filmemacher)

GESPRÄCH AUF GRIECHISCH! ΣΤΑ ΕΛΛΗΝΙΚΑ!

———————————

Die Zukunft unseres Publikums
von Ina Kutulas

Stratos Tzitzis interessiert Erreichbarkeit. Findet ein Film ein Publikum? Vor allem: Findet dieser Film sein Publikum? Findet ein potenzielles Publikum für einen Film zu diesem Werk – und damit auch zum Filmemacher?

Mit “45 m2” hatte Stratos Tzitzis 2010 einen Film realisiert, der in Deutschland auch 2016 noch als hochaktuell wahrgenommen wurde, ein Film über die junge, so genannte 500-Euro-Generation. 2010 sprach der Regisseur selbst von einer 650-Euro-Generation, deren Perspektivlosigkeit in “45 m2” thematisiert wurde, und bereits da korrigierte Stratos Tzitzis sofort und sagte: “… die inzwischen schon eine 400-Euro-Generation ist.” In Deutschland ist die Wahrnehmung bei der 500-Euro-Generation Griechenlands stehengeblieben. Nur diejenigen, die sich stärker für das interessieren, was in Griechenland passiert, wissen, dass man weder von einer 400-, noch von einer 300-Euro-Generation sprechen kann.

“45 m2” war jedenfalls ein Film, der den Regisseur als jemanden auswies, der vorausschauend gewesen war, der die Misere der Jugend fassen konnte, aber auch die ihrer Eltern, die wohl kaum noch Enkel haben werden, und der ebenfalls voraussah, dass die gesellschaftlichen Verwerfungen in Griechenland den ungemein hohen Zulauf an Wählern der Chrissy Avgy möglich machte.

Stratos Tzitzis interessiert der Disput. Sein Film “Asche” (2016) lebt vom Disput. Ein Kammerspiel. Möglicherweise ist für den Regisseur die riesige Stadt ein Raum für zahllose Kammerspiele. Das Zimmer und darin der Tisch, an dem eine Auseinandersetzung stattfindet. Der Regisseur sieht jeden einzelnen Akteur und hört hinter diesem dessen eigene Stadt rumoren, dessen eigenes Land, und in einem Winkel dieser Stadt das Herz eines anderen.

Für Stratos Tzitzis ist das, was als Veranstaltung “nur” die Präsentation, die Vorfühung eines Films vorsieht, lediglich die “halbe Wahrheit”. Viel mehr ist ihm an Austausch gelegen, daran, dass Fragen aufgeworfen werden. Und möglichst sollte für ihn ein Gedankenaustausch auch mit einer Frage enden, mit der man den Ort der Filmvorführung verlässt. Für Stratos Tzitzis ist das Ende uninteressant. Jedes Fazit ist das Ende eines Abschnitts einer Geschichte, die immer weiter geschrieben wird. Ein Disput ist ein Drehbuch, das seine Fortsetzung findet, wenn diejenigen, die den Dialog geführt haben, aufstehen und gehen und einige Zeit später in der nächsten Situation angekommen sind.

Wer wird wieder zurückkommen an diesen Tisch in einem Zimmer? Wen hat das Gespräch verändert? Inwieweit ist Griechenland ein Land der Denker und inwieweit Deutschland? Wo denkt es sich besser? Wo lässt es sich besser streiten? Wird in jedem Land anders gestritten? Ist Stratos Tzitzis im gedanklichen Austausch mit deutschen Filmemachern? Vermisst er in den staatlichen Medien Plattformen für Diskussionen über Film? Und wenn ja, welche Art von Plattform? Wo setzt man als Filmemacher/in die persönliche Energie derzeit besser ein: da, wo man einen Film macht, oder da, wo man sich engagiert dafür, dass mehr Filme im Fernsehen laufen, andere Filme, Filme, die man fast nie im Fernsehen zu sehen bekommt? Ist die Zeit reif für einen Aufstand der FilmemacherInnen? Oder für einen Aufstand der BürgerInnen für ein anderes Fernsehen? Würden Stratos Tzitzis zwei Kinos gehören – eines in Berlin und eines in Athen, und er könnte jegliches Programm dort verwirklichen, das er spannend findet: wie würden diese beiden Kinos heißen, was würde in diesen Kinos passieren? Und wie viele Mitarbeiter der 150-Euro-Generation würde er dort gern beschäftigen? Wie würde Stratos Tzitzis ein Publikum in diese Kinos holen?

In welcher Situation befindet sich die griechische Filmproduktion momentan? Noch vor zwei Jahren wurde häufig darüber gesprochen, dass Filmemacher sich in Griechenland in Kollektiven zusammenfinden und dass Filme in einer Intensität gemacht werden, wie es sie vor der so genannten Krise, vor 2010 nicht gab. Zugleich aber vernahmen die, die genau hinhören wollten, dass die staatliche Filmförderung fast oder tatsächlich gänzlich eingestellt wurde. Wo also werden Filme aus Griechenland oder in Griechenland derzeit produziert? Bestehen die vielen Kollektive auch zwei Jahre später noch? Entstehen griechische Filme eher in der Diaspora? Können griechische Filmemacher zaubern und Filme aus Luft und Liebe machen, ohne finanzielle Mittel? Haben sie den Filmemachern in Deutschland etwas voraus, die inzwischen offen über permanente Selbstausbeutung klagen, über unzureichende Förderung und “irgendwie” ihr Pech kaum fassen können? Können deutsche Filmemacher von “den Griechen” lernen, wie man ohne Geld Filme macht oder etwas anderes? Ist Griechenland ein Filmproduktionsland für deutsche Filmschaffende und Deutschland gleichzeitig eines für griechische Filmemacher? Kann man von einem “Filmemacher-Austausch” reden wie einst von einem Bevölkerungsaustausch? Verdienen inzwischen alle nichts mehr und ahnt das Kinopublikum nur noch nicht, wie viele Filme ihm in zehn Jahren fehlen werden?

Wie pessimistisch oder optimistisch sieht Stratos Tzititzis die Zukunft des Films, des Films, der einer seiner Filme sein könnte, des Films, in dem der Zuschauer sich selbst noch wiederfindet, mit seinem ganz realen Tisch, an dem er sich fast täglich streitet? Wie pessimistisch oder optimistisch sieht Stratos Tzitzis die Zukunft des Publikums?

HELLAS FILMBOX BERLIN – Artist’s Corner mit Asteris Kutulas