Vor dem Spielfilm wird der Kurzfilm Blue Train von Manolis Mavris gezeigt (mehr Informationen weiter unten).
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Giorgos beginnt gerade, es in Krisenzeiten mit dem Erwachsenenleben aufnehmen zu müssen. Der rauen Wirklichkeit ausgesetzt, führt er einen permanenten Kampf, um über die Runden zu kommen. Noch gibt es die winzige Einraumwohnung, aber schon nichts mehr zu essen. Die ständig zunehmende Not, der immerwährende Ausnahmezustand treiben Giorgos in einen Kreislauf aus Verlusten und Kompensation, in dem der Hunger die Konstante ist. Während sein früheres Leben sich immer mehr von ihm verabschiedet und Giorgos immer dünnhäutiger wird, versucht er, sich seine Sensibilität zu bewahren, als sei sie das innerste Zuhause. Mit unerschöpflicher Improvisationskunst begegnet er jeglichem Unvorhersehbaren. Die Gegenwart entreißt ihn der Vergangenheit, einer Zeit „davor“, in der es ein normales Leben gegeben haben muss – mit Gesangsunterricht, Eltern, Nachbarn, festen Bezugspunkten. Und während all das in Auflösung ist, versucht Giorgos Tag für Tag, einen Mikrokosmos zusammenzuhalten, in welcher Variation auch immer. Giorgos’ Begegnungen mit anderen sind intensiv, existenziell, verstörend. Verliebt- und Am-Verhungern-Sein treiben Giorgos um. In dieser Welt, die ihn nicht braucht, ist ihm die Gesellschaft seines Kanarienvogels geblieben, des einzig treuen Lebensgefährten. Zwei stillgewordene „Sänger“, die fürsorglich einander am Leben halten.
(Deutsche Untertitel mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung.)
Ektoras Lygizos
Blue Train – von Manolis Mavris
Großbritannien 2015, R: Manolis Mavris, 15 Min, OmdtU
Immer kommt es anders. Ein rätselhafter Zug fährt durch märchenhafte Landschaften. Beinah verwunschen all das, als sei dies die Welt der Modelleisenbahn. Die Farben ändern sich. Der Protagonist geht von Waggon zu Waggon, gerät von einer Situation in die nächste, jedesmal gezwungen, zu reagieren, um eine seelische Wunde heilen zu können. Draußen die Welt, fiktiv, wie ein Bilderbogen. Drinnen, eine Innenschau nach der anderen – in jedem Abteil eine weitere Szene. Ein Unterwegs-Sein, um dem unterdrückten kindlichen Selbst wiederbegegnen zu können. Die Vergangenheit fast zauberisch, die Realität – eine Szenerie, in der sich kleine Dramen ereignen. Episoden auf Rädern. Der Protagonist – beinah ein Träumer, wie es ihn heute fast nicht mehr gibt – wird von einem kurzen Abenteuer ins nächste geschickt. Doch zum Schluss – welch ein Schreck! – fließt Blut. Als hätte man geblättert in einem Almanach der Fiktionen, und alles endet mit einem Knall.
Manolis Mavris
ist 1987 in Athen geboren. Er hatte bereits einige Erfahrungen auf künstlerischem Gebiet und im Bereich der Visuellen Kommunikation, als er begann, für die griechische Kunst-Szene bei der Biennale in Venedig zu arbeiten. Außerdem beschäftigte er sich mit Animation und arbeitete in Griechenland an mehreren TV-Werbefilmen und Kurzfilmen. Manolis Mavris absolvierte ein Studium am Central Saint Martins College in London, wo er sich mit Regie beschäftigte und „Blue Train“, seinen ersten Kurzfilm fertigstellte. „Blue Train“ wurde als „Best of British“ beim Leeds International Festival 2014 nominiert und hatte im Juni 2015 auf dem Los Angeles Greek Film Festival seine USA-Premiere. Manolis Mavris ist involviert in die Produktion von englischen TV-Serien, Musikvideos und Werbefilmen in London und Athen.